Oder warum ich nicht in breit gestreute ETFs investiere
Und dieser Ausflug beginnt bei International Business Machines (IBM), einem Tech-Dino, der schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat. IBM veröffentlichte vor wenigen Tagen seine Quartalszahlen – der Umsatz fiel dabei auf den niedrigsten Stand seit 1998. Über die letzten 20 Jahre hat IBM wiederum Aktien im Wert von 140 Milliarden USD zurückgekauft. Das gesamte (!) Unternehmen wird derzeit am Markt dagegen nur noch mit rund 100 Milliarden USD bewertet. On top kommen dann nur noch überschaubare 62,9 Milliarden USD an Schulden. Aber damit noch nicht genug: Die langjährige Leiterin des Unternehmens, Virginia Rometty, hat zwischen 2012 und 2018 über 112 Millionen USD an Aktienvergütungen eingestrichen. Ein Schelm, wer böses denkt...
Jetzt mag der eine oder andere eventuell sagen: Aber, aber, aber, IBM ist doch jedes Jahr unter den Top 10 der Unternehmen, die die meisten Patente anmelden. Stimmt, letztes Jahr waren das immerhin 9262. Und im Jahr 2013 waren es 6809 Patente. Und 2008 immerhin auch schon 4169…
Nur: Was genau ist überhaupt ein Patent wert, wenn es den "Anmeldern" bzw. dem dahinterstehenden Unternehmen nicht gelingt, ein verkaufsfähiges Produkt zu entwickeln? Vermutlich genau so viel, wie heute ein neues Patent für VHS-Videorecorder noch wert wäre...
Der wahrscheinlich nächste Einwurf: IBM ist ja nur mit 0,5% im S&P gewichtet. Und auch das stimmt. Wenn es aber ein Unternehmen, das nach wie vor ein relativ hohes Renommee genießt und über eine im internationalen Vergleich eher überdurchschnittliche Entwicklungsabteilung verfügt, nicht schafft, Innovationen hervorzubringen, wie steht es dann erst um noch weniger "potente" Unternehmen?
Denn wenn es solche Innovationen gegeben hätte, wäre der Umsatz nicht so weit abgefallen. Zwar steigen Aktien langfristig ausschließlich aufgrund ansteigender Cashflows und Gewinne, doch ist in meinen Augen der Umsatz eine oftmals viel aufschlussreichere Kennzahl. Denn der Umsatz zeigt, ob das propagierte Nutzenversprechen eines Unternehmens überhaupt auf Interesse seitens der Zielkunden stößt bzw. ob das Geschäftsmodell überhaupt funktioniert. Und würden die kontinuierlich entwickelten Innovationen vom Markt als solche anerkannt werden, würde der Umsatz keinesfalls derartig abfallen. Allerdings sollte man auch nicht nur auf die Entwicklung des Umsatzes achten – aber dazu an anderer Stelle mehr.
Nun aber zurück zu der Frage, wie viele IBM-ähnliche Unternehmen noch existieren könnten. Hierfür geben die beiden folgenden Grafiken einen ganz guten Anhaltspunkt:
Die linke Grafik stammt dabei ursprünglich von Bianco Research LLC [1] und zeigt die Zunahme der Zombieunternehmen innerhalb des S&P 500, die rechte Grafik wurde von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) veröffentlicht [2] und zeigt diese analog für 14 der größten Industrieländer. Und beide zeigen dabei eine nahezu identische Entwicklung.
Als Zombie bezeichnet man jedes Unternehmen, das unter normalen Marktbedingungen eigentlich schon längst pleite wäre, da es nicht in der Lage ist, aus dem laufenden Geschäftsbetrieb genug Cashflow zur Zinstilgung von aufgenommenen Krediten zu generieren. Durch das unnatürlich tiefe Zinsniveau kann ein Zombie allerdings immer länger am Leben erhalten werden. Und wie es der Zufall so will, hat mit der FED erst vor kurzem die letzte, bedeutende Zentralbank der Welt den Leitzins auf Null gesenkt. Die massiven Hilfspakete werden zudem noch mehr Öl ins Feuer gießen.
An dieser Stelle sollte noch erwähnt werden, dass die Datengrundlage zu den oben dargestellten Zombie-Trends aus Jahr 2017 stammt. Somit kann man mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass mittlerweile eher noch mehr Zombies existieren. Die BIZ schreibt übrigens noch weiter dazu [2]:
„ […] On average, labour productivity and total factor productivity of zombie firms are lower than those of their peers. […] Lower rates boost aggregate demand and raise employment and investment in the short run. But the higher prevalence of zombies they leave behind misallocate resources and weigh on productivity growth. [...]”
In anderen Worten: Niedrige Zinsen befeuern kurzfristig orientierte Investments (Stichwort: Ausufernde Aktienrückkäufe und überteuerte Unternehmensakquisitionen), hemmen das Produktivitätswachstum und führen zu einer immer schlechteren Ressourcenverteilung in Unternehmen.
Der ganze Sachverhalt wird durch das nächste Schaubild von Blackstone [3] und die Grafik von Reuters [4] noch weiter verdeutlicht. Während die Zinsen fielen, haben immer mehr Unternehmen die „Gunst der Stunde“ genutzt, um sich expansiv zu verschulden und ihre Aktienrückkäufe auszuweiten. Und besonders auffällig finde ich dabei, dass seit etwa 2005 eine ausgeprägte Korrelation zwischen den Aktienrückkäufen und der Kursentwicklung des S&P 500 existiert.
Auf das Thema Aktienrückkauf will ich hier nicht allzu detailliert eingehen, da der Post sonst vollkommen den Rahmen sprengen würde. Außerdem sollte man Aktienrückkäufe nicht pauschalisiert als „schlecht“ abstempeln. Ein Musterbeispiel will ich trotzdem kurz näher betrachten. Dabei handelt es sich um keinen Geringeren als die Boeing Company. Am besten werfen wir hierfür zunächst erst einen kurzen Blick auf zwei "unschöne" Trends:
Als ich die Grafik im Fortune-Artikel [5] das erste Mal sah, musste ich angesichts der aktuellen Ereignisse doch erst einmal schlucken. Am besten stellen wir eine kurze Checkliste auf:
Boeing 737-Max: umfassende Mängel und weiterhin ohne Flugerlaubnis?
Seit 2011 massiv gesteigerte Aktienrückkäufe (über 40 Mrd. USD)?
Ausgaben in R&D trotz zahlreicher Defekte und Abstürze zwischen 2008 und 2018 nicht erhöht? (Hier am besten einfach mal selbst auf Wiki unter [6] ein Bild von Boeing´s "Qualitätsarbeit" machen)
Bereits jetzt schon massiv verschuldet?
In absehbarer Zeit vermutlich auf Staatshilfe angewiesen?
Fünfmal Check. Sieht für mich aus, als hätte das Management hier alles richtig gemacht. Wer außerdem einmal spaßeshalber den Aktienkurs von Boeing mit dem Aktien-Rückkaufprogramm vergleicht, wird noch einen auffälligen Zusammenhang feststellen.
Nun mag der ein oder andere vielleicht einwenden, dass Boeing aufgrund des defacto-Duopols und der garantierten Staatshilfe bestimmt bald zu neuen Höhen aufbrechen wird. Selbst falls dies eintreten sollte, zeigt der Fall Boeing zumindest, dass selbst eine starke Marktstellung mit starkem Burggraben durch schlechtes Management und kurzfristiges Denken komplett zu Nichte gemacht werden kann.
Dazu werden neue Konkurrenten und potenzielle Substitutionsgüter a la Videokonferenzen/Virtual-Reality-Anwendungen für Geschäftsreisende ein eventuelles Comeback nicht gerade beschleunigen. Und darauf zu setzen, dass die amerikanische Regierung Boeing rettet und somit bald alles wieder in Butter ist, halte ich persönlich für eine äußerst riskante Herangehensweise. Allein die Entwicklung der Commerzbank bzw. des Versicherers AIG zeigt in meinen Augen sehr deutlich, dass eine Rettung durch den Staat für Aktionäre nicht unbedingt von Erfolg gekrönt sein muss.
Für den Fall, dass die Beispiele von IBM und Boeing sowie die zunehmende Zombiefizierung noch nicht deutlich genug sind, will ich noch auf zwei Sektoren eingehen. Zum einen hätten wir da den Banken-Sektor. Am besten wirft man hier einen Blick auf die Aktienkurse von drei der bedeutendsten Großbanken, und zwar Wells Fargo, BNP Paribas und HSBC.
Selbst der kritischste Beobachter wird hier feststellen, dass der Kursverlauf eines attraktiven Investments anders aussieht. Wenn die Branchenführer sich so "moderat" entwickelt haben, wie sieht es dann in der zweiten und dritten Reihe aus? Und da bekanntlich alle Banken das gleiche Geschäftsmodell haben und ihre Erträge maßgeblich vom Zins abhängen, liegt die Vermutung nahe, dass fast alle Banken über die letzten 20 Jahre ähnlich gewinnbringende Investitionen waren. Und nun stellt sich in meinen Augen eine ganz einfache Frage: „Gibt es Grund zu der Annahme, dass Banken nun plötzlich einen spektakulären Turnaround hinlegen und alles outperformen werden?" Und da ich diese Frage entweder mit "nein" oder "weiß nicht" beantworten muss, werde ich auch weiterhin einen großen Bogen um diese "Qualitätsunternehmen" machen.
Als zweites werfen wir einen Blick auf den Mining-Sektor. Unter Mining fasse ich hier vereinfacht alle Unternehmen zusammen, die einen bestimmten Rohstoff aus der Erde fördern. Erneut zeichnen die Kursverläufe von zwei der größten Akteuere ein recht eindeutiges Bild.
Zur Auflösung: Der obere Kurs ist von BHP Billiton, der untere von Royal Dutch Shell. Abermals sehen wir alles nur keine nennenswerten Anstiege. Analog wie beim Bankensektor frage ich mich, ob Förderunternehmen aus der zweiten oder dritten Reihe so viel besser abschneiden können. Und erneut gibt es in meinen Augen keinen Grund zu der Annahme, dass die nächsten 20 Jahre für diesen Sektor "anders" verlaufen werden.
Zwar handelt es sich bei den ausgewählten Unternehmen (noch) um keine Zombies. Dennoch steht für mich in beiden Fällen fest, dass ich auf keinen Fall solche Unternehmen in meinem Portfolio haben möchte. Oder warum sollte ich freiwillig in Unternehmen investieren, die kaum wachsen, dem Zins bzw. den Rohstoffpreisen gnadenlos ausgeliefert sind und allerhöchstens eine magere Dividendenrendite von 3-5% abwerfen?
Während man vorhin vielleicht noch einwenden konnte, dass IBM oder Boeing jeweils ja nur etwa 0,5% des S&P 500 ausmachen, sollte mittlerweile die eigentliche Botschaft klar sein:
Wenn man einen breit gestreuten ETF kauft – so wie es mittlerweile zahlreiche Youtuber und Börsen-Kommentatoren empfehlen, dann investiert man sein Geld zwangsläufig in Zombies, in schlecht geführte Unternehmen und in untote Sektoren. Oder anders gesagt: In allen breiten Indizes sind mittlerweile so viele „durchschnittliche“ Unternehmen versammelt (Tendenz - stark steigend), dass die Rendite logischerweise auch nur „Durchschnitt“ sein kann.
Zum Schluss will ich nur noch klar stellen, dass ich nichts gegen IBM, Boeing oder etwa Banken habe. In meinen Augen ist es aber wichtig, dass sich Privatanleger genau darüber im Klaren sind, WAS sie kaufen und WARUM sie etwas kaufen. Aber vereinfachende Aussagen a la „Am besten einen MSCI World Index kaufen und laufen lassen, da fährst du besser als die allermeisten Privatanleger“ oder „86% der Fondmanager schlagen ihre Benchmark nicht und du würdest es vermutlich erst recht nicht schaffen“ halte ich für höchst irreführend und falsch.
PS:
In meinen Augen gibt es nicht nur bei Unternehmen, sondern auch bei ETFs große Unterschiede. So gibt es beispielsweise ETFs, die wesentlich themen-, regionen- oder branchenspezifischer ausgerichtet sind. Und damit lässt sich in meinen Augen schon mit äußerst geringem Aufwand ein deutlich "lebendigeres" Portfolio bauen. Darum geht es in Teil 2.
Spark Invest- Innovation erkennen, Disruption verstehen und besser investieren
THE END.
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